Frühkindliche Reflexe entwickeln sich nicht zufällig – sie folgen einem fein abgestimmten Zeitplan, der durch Bewegung, Körperkontakt, emotionale Sicherheit und sensorische Reize unterstützt wird.
Doch manchmal gerät dieses System aus dem Gleichgewicht – durch sogenannte negative Einflussfaktoren, die in sensiblen Entwicklungsphasen wirken.
Inhalt
Es gibt vier bedeutende Zeitfenster, in denen solche Einflüsse eine besonders große Rolle spielen.
Die Schwangerschaft
Bereits im Mutterleib beginnt die Entwicklung der frühkindlichen Reflexe. Alles, was die Mutter erlebt, fühlt und tut, wirkt sich auf das Ungeborene aus – körperlich wie emotional.
Mögliche Einflussfaktoren:
- Stress, Angst, Unsicherheit – vor allem über längere Zeiträume
- Bewegungsmangel oder eingeschränkte Mobilität der Mutter
- Alkohol, Drogen
- Erkrankungen während der Schwangerschaft
- Mangel an wichtigen Nährstoffen (z. B. Omega-3, Folsäure, Eisen)
- Aktive Stressschutzreflexe der Mutter selbst (z. B. Moro, FPR)
- Starker Stress der Mutter (emotional oder körperlich)
- Medikamente, Infektionen, Umweltgifte
- Bewegungsmangel in der Schwangerschaft
- Längeres Liegen oder Fehlhaltungen der Mutter
- Mehrlingsschwangerschaft
- Intrauterine Lageprobleme (z. B. Beckenendlage)
➡️ Diese Faktoren können die natürliche Entwicklung der Reflexe stören oder verzögern.
Die Geburt
Die Geburt ist ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Bewegung, Druck, Drehen und Aktivieren – für das Baby ebenso wie für die Mutter. Reflexe wie Moro, Spinaler Galant oder FLR werden hier aktiviert und spielen eine wichtige Rolle für den Übergang ins Leben.
Mögliche Einflussfaktoren:
- Kaiserschnitt (geplant oder ungeplant)
- Einsatz von Zange oder Saugglocke
- Sehr schnelle oder sehr lange Geburtsverläufe
- Wehen-fördernde oder -hemmende Medikamente
- Sauerstoffmangel oder andere Geburtskomplikationen
- Sauerstoffmangel oder Kreislaufbelastungen
➡️ Diese Eingriffe können Reflexmuster verändern oder dazu führen, dass wichtige Reize nicht vollständig erlebt und verarbeitet werden.
Das erste Lebensjahr – Zeit für Bewegung, Nähe und Körpererfahrung
In den ersten 12 Lebensmonaten sollten sich viele frühkindliche Reflexe zeigen, entwickeln und von posturalen Mustern abgelöst werden. Das Kind braucht dafür vor allem freie, vielfältige Bewegung, Nähe und die Möglichkeit, die Welt aus eigener Kraft zu entdecken.

Mögliche Einflussfaktoren:
- Frühgeburt oder sehr niedriges Geburtsgewicht
- Trennung von der Mutter nach der Geburt (z. B. Inkubator, medizinische Eingriffe)
- Eingeschränkter Körperkontakt / fehlendes Bonding
- Wenig Bewegungsfreiheit (z. B. durch enge Lagerung, zu viel Sitzen, wenig Krabbelzeit)
- Häufige Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte
- Emotionale Unsicherheit in der frühen Beziehung
- Bewegungseinschränkungen (z. B. nur Rückenlage, zu lange Tragezeiten, Wippen, Babyschalen)
- Intensive Nutzung moderner „Hilfsmittel“ (Lauflernwagen, Activity-Center etc.)
- Fehlende Krabbelzeit, wenig Bodenkontakt
- Falsch verstandene Förderung (zu frühes Hinsetzen, Hinstellen, Laufenlernen)
- Unwissen über wichtige motorische Meilensteine
- Trennung von den Eltern (z. B. durch Klinikaufenthalt)
➡️ Ohne ausreichend Bewegung und Körpererfahrung kann die Integration der Reflexe ins Stocken geraten.
Zeit bis zum 6. Lebensjahr – das „Nachreifen“ des Systems
Auch über das erste Jahr hinaus braucht das Kind altersgemäße Reize, um die Reifung des Nervensystems fortzusetzen. Kinder sollten klettern, toben, balancieren, rollen, schaukeln, barfuß laufen – alles, was Bewegungsvielfalt und Körpersinn fördert.
Mögliche Einflussfaktoren:
- Fehlende Gelegenheiten zum Bewegen (z. B. durch Sitzen, Bildschirmzeiten, Überbehütung)
- Gefahrenvermeidung durch übermäßige Fürsorge
- Entwicklungshindernisse durch nicht-kindgerechte Erwartungen
- Überreizung durch Medien, Lärm, dauerhafte Reizflut
- Unterforderung – keine Herausforderung, keine Erfolge
- Wenig Naturerfahrung, kein Barfußlaufen, kein freies Spiel
➡️ Das zentrale Nervensystem kann nicht nachreifen, wenn das Kind keine echten körperlichen, emotionalen und sozialen Erfahrungen machen darf.
Warum sind diese Faktoren so relevant?
Frühkindliche Reflexe sind Bewegungsmuster, aber gleichzeitig auch neuronale Entwicklungsprogramme. Sie brauchen:
- Bewegung
- Berührung
- emotionale Sicherheit
- und Raum zur Entfaltung
Wenn ein Kind diese Erfahrungen nicht in ausreichender Qualität oder Menge machen kann, bleibt die Reflexentwicklung unvollständig – und das Nervensystem muss später kompensieren. Manche Reflexe „überleben“ dann im Alltag – und zeigen sich durch Unruhe, Koordinationsprobleme, sensorische Empfindlichkeiten oder Lernschwierigkeiten.
Es geht nicht um Schuld.
Eltern haben immer das Beste gegeben – viele dieser Einflussfaktoren sind nicht beeinflussbar oder vorhersehbar. Und noch seltener erkennen Eltern ihren Zusammenhang mit der Reflexentwicklung.
Wir suchen keine Schuldigen, sondern Lösungen.
Umso wichtiger ist es, sie zu erkennen und Kindern heute die Chance zu geben, durch gezieltes Reflexintegrationstraining nachzureifen, was damals nicht möglich war.